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HSH SW 012 22 B Arndt kl 2

Wolfgang Arndt

Wolfgang kam als echter „Spreeathener“ am 5. Juli 1959 in Berlin-Friedrichshain auf die Welt. Als er sich weigerte der Pionierorganisation und der FDJ beizutreten, geriet der in einem christlichen Elternhaus heranwachsende Jugendliche in das Visier des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS).Mit 16 Jahren wurde er zudem Mitglied der evangelischen Kirche und engagierte sich in der Folgezeit in der entstehenden Bürgerrechtsbewegung im Berliner Prenzlauer-Berg, wodurch der Repressionsdruck auf ihn weiter zunahm.  

So fasste er schließlich den Entschluss, einen Ausreiseantrag zu stellen, um zu seiner in West-Berlin lebenden Mutter zu ziehen. Nachdem mehrere solcher Gesuche von der zuständigen Abteilung Inneres abgelehnt worden waren, plante der junge Mann, der 1978 eine Lehre als Tiefbaufacharbeiter abgeschlossen hatte, die DDR illegal zu verlassen. Mit der Bitte um Unterstützung für sein Ausreisebegehren wandte er sich zunächst an die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der Hannoverschen Straße. Zwecks Realisierung der Fluchtabsichten versuchte er dannKontakt mit britischen und US-amerikanischen Diplomaten aufzunehmen. 

Im April 1980 wurde Wolfgang Arndtschließlich verhaftet und nach einer ersten Vernehmung bei der Berliner Volkspolizei in der Keibelritze“ im Untersuchungsgefängnis in der Kissingenstraße inhaftiert. Entscheidend dafür war, dass seine damalige Ehefrau ihn an die Stasi verraten hatte. Das Stadtbezirksgericht Pankow verurteilte ihn sechs Monate später wegen "Vorbereitung zum ungesetzlichen Grenzübertritt" und "Beeinträchtigung staatlicher Organe" zu 20 Monaten FreiheitsentzugDie Strafe musste Wolfgang zum Großteil in den Vollzugsanstalten Rummelsburg und Cottbus absitzen, bevor ihn die Bundesrepublik im August 1981 freikaufte. Nach wenigen Wochen im Notaufnahmelager Gießen zog er nach Berlin-West. Aufgrund von erheblichen Haftschäden konnte er seinen erlernten Beruf nicht mehr ausüben, sondern arbeitete in einem Speditionsunternehmen als LogistikerDie Staatssicherheit beobachtete ihn bis zum Untergang der DDR weiter in einem „Operativen Vorgang“. Nach der Wiedervereinigung zog er mit seiner neuen Partnerin wieder in den Ostteil seiner Heimatstadt. Die traumatischen Hafterlebnisse, die ihn sein ganzes weiteres Leben belasten sollten, verarbeitete er in Gedichten und Zeichnungen. 

Nach einer ersten Kontaktaufnahme mit dem Zeitzeugenbüro der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen im April 1999unterstützte er kurzzeitig die Arbeit der Gedenkstätte als Praktikant. Ab 2007 führte Wolfgang viele Hundert Besuchergruppen durch das ehemalige Stasi-Gefängnis. Zudem engagierte er sich im Koordinierenden Zeitzeugenbüro und hielt vor Schulklassen Vorträge über seine Repressionserfahrungen in der DDR. Außerordentlich anschaulich erzählte er vom Alltag im ostdeutschen Teilstaat und über seine schmerzvollen Hafterfahrungen. Dabei appellierte Wolfgang stets an Menschlichkeit, Mitgefühl und Toleranz. Regelmäßig legte er am Gedenkstein für die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft in der Mitte des Rosenhofes der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen Blumen nieder. Mit seiner herzlichen Art ging er offen auf neue Kolleginnen und Kollegen zu, wollte das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken und suchte immer wieder den Austausch. 

Wolfgang Arndt war sehr belesen historische, weltanschauliche und psychologische Themen standen im Mittelpunkt seines Interesses. So beschäftigte er sich u. a. intensiv mit der der Geschichte des Kommunismus, aber auch mit der Historie der Tempelritter. Er korrespondierte dazu mit vielen Personen bis hin zu Wolfgang Leonhard und Markus Wolf.  Besondere Faszination übte auf ihn die Theorie und Praxis der buddhistischen Religion aus, worüber er seine Gesprächspartner in ausführliche Dispute verwickeln konnteSein Glaube gab ihm Kraft und nahm ihm Angst, auch vor dem Tod 

Ende 2017 erkrankte Wolfgang und konnte seine Zeitzeugentätigkeit nicht mehr ausüben. Am späten Abend des 14. November 2022 erlag er seinem Herzleiden. 

Mit Wolfgang Arndt verlieren die Referenten und Mitarbeiter der Gedenkstätte einen aufrechten Mitstreiter in Sachen DDR-Geschichtsaufarbeitung sowie einen stets zugewandten Freund und Kollegen. 

Foto: © Dirk Vogel