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Interview 1980er-Jahre

Projektlaufzeit 2019-2021

DDR-Frauengefängnis in der Grünauer Straße

Ausschnitte aus einem Zeitzeugeninterview

Sie hören nun ein anonymisiertes nachgesprochenes Interview mit einer ehemaligen Gefangenen, die Anfang der 1980er-Jahre inhaftiert war.

Transkript des Interviews

Zur Beschreibung der Zelle im Altbau:

Frage: Können Sie bitte die Zelle beschreiben?

Antwort: Also ich saß in beiden Verwahrgebäuden. In dem alten Haus gab es Zellen, die ca. 24m² hatten. Es gab drei-etagige Betten, insgesamt sechs Stück. An der einen Wandseite drei und an der anderen Wandseite ebenfalls drei. In der Mitte stand ein Tisch an dem 18 Frauen sitzen konnten. Wir hatten Spinde in den Zellen, aber nicht für jede Frau einen Spind, sondern jede hatte nur ein Fach und wenn man die Spinde öffnete, waren da immer Kakerlaken. Nebenan gab es einen kleinen freizugänglichen Raum, dort waren 3 oder 4 Waschbecken und die Toilette drin. Das war immer ein Theater: Frühs vor der Schicht mussten sich alle 18 Frauen waschen und natürlich pünktlich beim Zählappell und Abtreten zur Arbeit erscheinen.

Zum Versuch der Anwerbung durch die Staatssicherheit als Zelleninformator:

Frage: Können Sie bitte erzählen wie die Stasi versucht hat Sie im Gefängnis als Spitzel anzuwerben?

Antwort: In Begleitung kam derselbe Vernehmer in den Knast nach Köpenick, der mich auch schon bei der Stasi verhört hatte. Das war schlimm. Ich war als politischer Häftling dort und wie jeder sagte auch ich: „Ich bin unschuldig.“ Dieser Vernehmer brachte Bockwurst und Kuchen aus dem Café Lauterbach mit. Er wusste natürlich, dass ich den Kuchen mag. Ich wurde aus der Schicht bei Rewatex geholt und da ich als Kontrolletti vom Band auf einem erhöhten Posten stand, fiel es natürlich jedem auf, dass ICH rausgeführt und zwei, drei Stunden weg war. Und dann wurde rumerzählt: SIE ist der Spitzel! Das war echt bitter, wenn du der einzige politische Häftling in deiner Zelle bist. Denn eigentlich kam ich mit den anderen Frauen gut aus und dann hieß es nur noch Spitzel. Ich glaube, es war bereits das dritte Mal, dass die Stasi in den Knast nach Köpenick kam, am Gründonnerstag vor Ostern. Ich habe danach die Aufseher gefragt, ob sie mich bitte in irgendeine Einzelzelle stecken können. Ich wäre auch in den dunklen Karzer ohne Essen gegangen, um es nicht am langen Wochenende in der Zelle ertragen zu müssen. Alle dachten: Spitzel! Aber es war nichts zu machen, ich musste wieder in die Zelle und das war sehr schlimm.“

Zur Problematik der Mütter in Haft:

Frage: Sie waren Mutter eines zweieinhalbjährigen Sohnes. Versuchte die Stasi ihren Sohn als Druckmittel einzusetzen?

Antwort: Ja und nein. Auch ich hatte damit ein Druckmittel. Ich sagte denen, dass ich hier erst etwas aussage, wenn ich von einem dem ich vertraue, erfahre, wo mein Sohn ist. Ich wusste was ich tue. Ich wusste, dass es im Gefängnis enden kann. Alles andere wäre naiv gewesen. Aber ein Kind vertraut seinen Eltern und dann sind die Eltern plötzlich weg und die Mutter kommt gar nicht mehr wieder und als er mich dann wiedergesehen hat, musste er mit mir umziehen nach West-Berlin. Er verlor seine ganze andere Familie.

Frage: Kann sich Ihr Sohn noch an etwas erinnern?

Antwort: Er kann sich an nichts erinnern, dazu war er zu jung mit seinen damaligen zweieinhalb Jahren. Vor meiner Inhaftierung hatte er auf jedem Foto mit leuchtenden Augen gelacht. Und als wir ankamen in West-Berlin war das Lachen weg und ist leider auch nie wieder-gekommen. Als wir 5 Tage zusammen waren, habe ich ihn gefragt: Sag‘ mal hast du das Buch noch? Ich hatte ihm für das erste Weihnachten im Knast auf Anstaltspapier das Märchen 'Frau Holle' aufgeschrieben. Mit Buntstiften hatte ich die Goldmarie, die Pechmarie, den Brunnen, die Äpfel, den Backofen mit den Broten usw. dazu gemalt und es mit einem Faden zu einem Buch zusammengenäht. Er hatte es noch und er hat es auch noch heute.