Grünauer Straße - Interview ehemalige Gefangene - Ende der 70er Jahre

Anonymisiertes, nachgesprochenes Interview

 

 

zur Projektbeschreibung

Ausschnitte aus dem Zeitzeugen-Interview

Sie hören nun ein anonymisiertes nachgesprochenes Interview mit einer ehemaligen Gefangenen, die Ende der 70er Jahre inhaftiert war.

Zur Beschreibung des morgendlichen Ablaufes im Strafvollzug, bei Frühschicht von 6 bis 14 Uhr:

Frage: Können Sie bitte berichten, wie der Tag im Frauengefängnis begann?

Antwort: Um fünf Uhr sind wir geweckt worden und nach dem Waschen mussten wir uns sammeln und in Reih und Glied aufstellen. Die Wachteln, also die Wärterinnen standen an der Seite und haben unsere Anstaltskleidung kontrolliert: Rock, Jacke, Bluse, Halbschuhe mit Schnürsenkeln. Es wurde immer kontrolliert, ob die Schnürsenkel ordentlich sind, der Kragen durfte nicht hochgestellt sein, alle Knöpfe zu und dann ist man runter in den Speisesaal gelaufen zum Frühstück. Da hatte man seinen festen Tisch. Wir waren 120 Frauen und vier Tische waren es. Dann ging es direkt rüber zu Rewatex. Dort wurden wir von den Lenkungskräften, also den zivilen Mitarbeitern in Empfang genommen und dann ging jede an ihren Arbeitsplatz.

Zur Beschreibung der Essensversorgung:

Frage: Was gab es zu den drei Mahlzeiten?

Antwort: Frühstück war das blödeste Essen. Wer Geld hatte, konnte sich am Kiosk einen Kaffee holen, ansonsten gab es Muckefuck. Es gab nur Margarine, olles Graubrot und billige Mehrfruchtmarmelade aus Pappeimern. Die Wurst war so eklige Wurst, so mit Grieben, so Leberwurst. Das Mittagessen war ganz normal, deutsche Hausmannskost: Kartoffeln, Reis oder Nudeln Fleisch, zum Beispiel Frikassee und Gemüse. Das Abendbrot ging, da gab es Scheibenwurst wie Salami, Kochwurst, Schmelzkäse in Silberpapier und Margarine. Aber wenn man Geld hatte, hat man sich Butter im Kiosk gekauft. Zum Trinken gab es Tee oder Muckefuck. Am besten war das Essen in der Nachtschicht, das kam von Rewatex. Da gab es besseres Fleisch und auch Mal ein Schnitzel oder einen halben Broiler.

Zur Beschreibung des Arbeitsalltages im Arbeitseinsatzbetrieb (AEB) VEB Rewatex:

Frage: Können Sie bitte etwas über Ihren Arbeitsalltag im VEB Rewatex berichten?

Antwort: Ich musste drei Schichten schieben, Frühschicht, Tagschicht und Nachtschicht. Na halleluja, das hatte ich ja noch nie gehabt. Es gab mehrere Taktstraßen mit jeweils einer Brigade. Vom Wäscheeingang bis zum Wäscheausgang war es eine Taktstraße. Und diese Taktstraße hatte einen Brigadier, Bridger genannt, der hat dann geguckt, ob alles ordentlich läuft. Da drin war das Problem nicht so die Hitze, sondern die Schwüle und von der Wäsche sind immer Flusen in der Luft gewesen, also die Luft war immer dick. Ich hatte dann auch eine Rippenfellentzündung von dieser feuchten Luft. Wir haben uns aus irgendeinem Stoff Bänder gebastelt, nass gemacht und umgebunden, damit der Puls immer kalt ist. Die schwerste Arbeit war an der Waschmaschine. Ich weiß nicht wie viele Kilos da reingepasst haben, die schwere nasse Wäsche musste da rausgeholt werden und kam in einen Wagen rein und weiter zu einer Schleuder und aus der Schleuder kam es dann zur Mangel.

Zur Beschreibung des Arrestes, BUNKER:

Frage: Können Sie etwas über die Arrestzellen im Keller berichten?

Antwort: Der einzige Vorfall war gewesen mit der einen, wo das Gerücht herumging, dass die im Bunker geschlagen wird. Und das hat dann irgendwie die Runde gemacht. Da war dann so eine Versammlung, wo alle im Speiseraum saßen und der Anstaltsleiter kam auch und dann haben sie die Frau hochgeholt und die musste dann öffentlich erklären, dass es ihr gut geht und dass sie auch nicht geschlagen wird usw. und dann wurde sie wieder runtergebracht.

Zur Anwerbung durch die Staatssicherheit als Zelleninformator:

Frage: Hat die Staatssicherheit versucht Sie im Gefängnis als Spitzel anzuwerben?

Antwort: Ja, sie haben mich zum Leutnant hinbestellt und da saß dann irgendjemand von der Stasi. Ich weiß nur noch, dass es Kaffee und Kuchen gab und Zigaretten lagen da und der hat ein ganz normales Gespräch mit mir geführt. So: wie geht‘s? Wie steht’s? Es ist ja nun alles nicht so gut gelaufen, aber wir versuchen das Beste draus zu machen und blablabla und wenn ich irgendwas höre, wenn jemand irgendwas Kriminelles plant, dann sollte ich der Leutnant Bescheid sagen, dass ich jemand sprechen will. Ich wollte da drinnen keinen Stress haben. Ich war dann plötzlich Verwahrraumälteste und dann sollte ich alles berichten. Wenn die da drinnen sich zum Beispiel tätowieren oder Bier brauen wollen oder so... Aber das war bei uns alles nicht und das war mir auch zu blöd. Darauf hatte ich keinen Bock, weil, ich dachte mir, ich bin ja nicht blöd. Wenn, die jetzt merken, wie nützlich ich hier für die bin, dann komme ich nicht vorzeitig raus. Also wollte ich das alles nicht. Ich wollte wegen guter Führung vorher raus und nicht wegen super-guter Führung länger drinnen sein. Ich war immer zwischen Baum und Borke und musste immer sehen, dass ich nicht mit der Stasi oder den Wärterinnen anecke, aber auch, dass ich nicht zu gut bin.

Zur Beschreibung der schlimmsten Erfahrung im Gefängnis:

Frage: Was fanden Sie am schlimmsten im Gefängnis?

Antwort: Das Schlimmste da drinnen war, fand ich, dass du nie allein bist. Das immer Leute um dich rum sind, dass immer jemand redet, immer Geplapper, Geplapper und noch nicht mal auf Klo bist du allein. Ja, das war das Schlimmste.