24.8.2022 |
Trauer um Michael „Mischa“ Naue

Nachruf Michael Naue

Ein Sandwich mit dem Namen „Hedwig“ – wer auch immer dies auf dem Wochenmarkt am Berliner Südstern probierte und interessiert nachfragte, was es denn mit der Benennung auf sich hätte, dem erzählte Michael „Mischa“ Naue begeistert von seiner Großmutter, Hedwig Barduni. Ihr widmete er seine kulinarischen Kreationen, die er in einem Food-Truck verkaufte. Bis zu ihrem Tod im Alter von stolzen 100 Jahren stand sie ihm mit ihrer Lebenserfahrung zur Seite. Mischa Naue war mit Leib und Seele Koch und Imker. Sein Garten nahe Magdeburg mit einem Bienenhaus wurde sein Rückzugsort und eine Kraftquelle für die Bewältigung von Vergangenheit und Gegenwart.

Geboren 1963 in Ost-Berlin wollte er sich den Zwängen der sozialistischen Gesellschaft bereits als Jugendlicher nicht unterwerfen. Er geriet in Konflikte mit staatlichen Autoritäten: öffentliche Tadel und Drangsalierungen in der Schule prägten seinen Alltag. Schon im Alter von 14 Jahren musste er die Schule verlassen und eine Ausbildung als Gleisbauer beginnen. Früh interessierte er sich für Buddhismus. Miserable Arbeitsbedingungen in der Lehrzeit, Behördenwillkür sowie Schwierigkeiten bei der Suche nach einer eigenen Wohnung und einer beruflichen Umorientierung veranlassten ihn, seine Flucht aus der DDR zu planen. Naue wollte raus und sehnte sich nach einem Leben in Freiheit. Ein Versuch über Ungarn scheiterte im November 1983. Einen Monat später versuchte er, über die innerstädtische Grenze nach West-Berlin zu gelangen. Der Staatssicherheitsdienst verhaftete ihn. Verurteilt wegen des „ungesetzlichen Grenzübertritts“ zu einer Haftstrafe von zwei Jahren, war er von April bis Dezember 1984 in der Strafvollzugseinrichtung Naumburg eingesperrt. Zuvor verbrachte er vier Monate in der Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen. Im Dezember 1984 gelangte er im Rahmen des Häftlingsfreikaufs in die Bundesrepublik.

Ab jetzt – so beschloss er – widme ich mich den schönen Dingen im Leben: Mischa Naue ging nach West-Berlin, absolvierte eine Ausbildung zum Koch und unternahm zahlreiche Reisen. In Japan verschrieb er sich dem Zen-Buddhismus, lebte drei Jahre im Kloster. Später war er als Fotograf tätig und gründete das LichtBildKombinat, gestaltete Kalender und Grafiken. Seine Geschichte verarbeitete er im Buch "Gefangen mit Buddha. Meine Rebellion im Stasi-Staat", gewidmet seiner Großmutter.

Als das Zeitzeugenarchiv der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen ihn wegen eines Interviews ansprach, entschied Naue sich 2014 zu einer Tätigkeit als Besucherreferent und als Zeitzeuge für das Koordinierende Zeitzeugenbüro. Speziell die Arbeit mit Jugendlichen motivierte ihn. Direkt und unverblümt schilderte er seine Repressionserfahrungen, den Druck und die Angst in der DDR. Gerade sein authentisches, lockeres Auftreten ließ ihn leicht den Zugang zur jungen Generation finden. Er verstand es, die Zuhörerinnen und Zuhörer zu fesseln, ihr Interesse für Politik zu wecken. Hier treffen meine Denkanstöße auf fruchtbaren Boden, meinte er häufig: Gegen Ungerechtigkeit eintreten, für Freiheit kämpfen, damit Unrecht sich nicht wiederholt. „Wenn nur einige es verstehen, habe ich viel erreicht.“

Zusammen mit anderen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen setzte sich Naue intensiv dafür ein, die Belange und Bedürfnisse von ehemaligen Gefangenen zu artikulieren. Forderte Empathie, Respekt und Wertschätzung für die Zeitzeugenarbeit – eine Herzensangelegenheit war es ihm, dass Betroffene einen Ansprechpartner finden, gerade wenn sie noch heute unter Haftfolgeschäden leiden und die Vergangenheit nur schwer bewältigen können. Denen Unterstützung zu geben, die in sozialer Not leben und gesundheitliche Probleme haben, wurde in den letzten Jahren unentwegt sein ausdrückliches Ziel. Aktiv engagierte er sich zudem für den Erinnerungsort Gefängnis Naumburg.

Ausgleich fand Mischa stets im Garten, hatte große Freude an seinen Bienen, kochte Gemüse ein, probierte sich im Weinanbau und versorgte Freunde und Kollegen mit seinen Erzeugnissen.

Viel zu früh – mit nur 59 Jahren – verstarb Michael Naue im August 2022.