4.6.2020 |
Trauer um Jörg Schütze

Speiche
Zum 25-jährigen Jubiläum der Wiedervereinigung ließ der charismatische Ost-Berliner Bassist die Sehnsucht nach Freiheit hinter den Mauern der ehemaligen Stasi-Untersuchungshaftanstalt in Berlin-Hohenschönhausen noch einmal aufleben: Mit dem Konzert „Rock Behind The Wall“ begeisterten Jörg Schütze, bekannt als „Speiche“, und seine Band „Speiches Monokel“ im September 2015 alte und neue Anhänger der rebellischen DDR-Musikszene. Den 30. Jahrestag der Deutschen Einheit erlebt die Blueslegende leider nicht mehr - im Alter von 73 Jahren verstarb Jörg Schütze am 31. Mai 2020 nach einer langen Krebserkrankung.

Geboren 1946 in Altglienicke wuchs er im Ost-Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg auf und entdeckte frühzeitig seine Leidenschaft für Jazz, Blues und Rock'n'Roll. Schütze wollte sich nichts vorschreiben lassen, trug lange Haare, lehnte die Mauer ab und verweigerte den Wehrdienst. Seinem Wunsch nach Selbstbestimmung verlieh er musikalisch Ausdruck und spielte mit anderen in Kellern und Untergrundkneipen. Schnell geriet er mit seinem auffälligen Äußeren ins Visier der Staatssicherheit. Bespitzelt und drangsaliert, sah Schütze für sich und seine Musik keine Zukunft in der DDR. Im September 1965 scheiterte sein Fluchtversuch. Er kam in Haft, u. a. in das Ost-Berliner Polizeigefängnis Keibelstraße und wurde zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt, die er komplett verbüßen musste. Danach blieb die Musik sein Anker. 1976 war er Mitbegründer der Rockband „Monokel“. Für Tausende Fans wurden die Musiker zu führenden Figuren der Blues- und Kundenszene in der DDR, die sich nicht unterordnen wollten und mit ihren Texten Lebenslust und Widerstand demonstrierten. Die Bandmitglieder standen dabei unter ständiger Beobachtung der Stasi. Nach dem Mauerfall trennten sich die Wege. Schütze spielte weiter in verschiedenen Konstellationen, wie der „Monokel Blues Band“. Im Prenzlauer Berg etablierte er zudem „Speiches Rock- und Blueskneipe" zu einer festen Institution in der Berliner Szene. Mit Jörg Schütze geht ein Musiker, der über Generationen hinweg den Sound der unangepassten DDR prägte, indem er mit seinen Bandkollegen 1a Kraft-Blues machte.